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Raummoden

tonetti • Juli 01, 2022

Raummoden

Als Raummoden bezeichnet man Raumresonanzen, bzw. Eigenresonanzen eines Raumes. Normalerweise wird der Schall von allen Raumbegrenzungen (in Abhängigkeit der akustischen Eigenschaft der Oberfläche) reflektiert, was zu einem diffusen Schallfeld führt. Die Schallwellen treffen dabei in den unterschiedlichsten Winkeln auf alle Begrenzungsflächen, im idealen diffusen Schallfeld gilt dann für jeden Punkt im Raum, dass der Schall mit gleicher Wahrscheinlichkeit aus allen Richtungen eintrifft. Bei Raummoden hingegen trifft der Schall in einem bestimmten Winkel auf die Begrenzungsfläche, es sind nur einzelne Teilflächen des Raumes beteiligt, und die Schallenergie, die einen bestimmten Weg nimmt, wird immer wieder zur Originalfläche zurückreflektiert, es entsteht eine Art Kreislauf. Dabei bilden sich statische lokale Schalldruckmaxima und Schalldruckminima im Raum.

Raummoden entstehen ungefähr in dem Frequenzbereich, wo die Wellenlänge des Schalls den Raumdimensionen entspricht, also im Bassbereich. Unterhalb der sogenannten kritischen Frequenz, der Schröderfrequenz, beginnt das modale Verhalten. Es gibt verschiedene, ähnliche Berechnungsformeln für diese Frequenz, eine davon ist:


So ist zum Beispiel für einen gewöhnlichen Raum mit einem Grundriss von 16m² und einer Deckenhöhe von 2,60m (Volumen 42m³) und einem mittleren Absorptionsgrad von (Nachhallzeit T60 = 0,43s) die Schröderfrequenz bei 213Hz.

Unterhalb der Frequenz, wo die halbe Wellenlänge größer ist als die größte Raumdimension (meist die Länge des Raumes), sie wird manchmal als „cut-off Frequenz“ bezeichnet, findet kein modales Verhalten mehr statt. Wäre obiger Raum 4x4m, so wäre die niedrigste Mode und somit die Cut-off Frequenz bei 43Hz.


Folgende Abbildung zeigt einen schematischen Frequenzverlauf eines Raumes mit modalem Verhalten. Der beschriebene Frequenzbereich ist geprägt durch einen welligen Verlauf, der nur durch aufwendige Bassabsorber und Equalizing linear zu bekommen ist – eine der Kernaufgaben eines jeden Studiobauers und Akustikers. Oberhalb der kritischen Frequenz spricht man von einem diffusen Schallfeld, es finden sich zuerst die physikalischen Phänomene Schallbeugung und Schalldiffusion, zu höheren Frequenzen hin gewinnt die Beschreibung der Akustik als Strahlentheorie mit gerichteten Reflexionen wie in der Optik an Bedeutung.

Man unterscheidet axiale, tangentiale und oblique Raummoden.

 

  • Axiale Raummoden: Es sind zwei gegenüberliegende parallele Wände beteiligt (1 Raumdimension).

Die Raummodenfrequenz errechnet sich über folgende Formel:

mit

c = Schallgeschwindigkeit

x = Anzahl der halben Wellenlängen die in die beteiligte Raumdimension passt (1,2, …∞)

L = Länge der beteiligten Raumdimension in Meter

In einem rechteckigen Raum wird dabei entsprechend den Raumdimensionen die erste Längsmode mit „1-0-0“ beschrieben, die erste Quermode mit „0-1-0“, und die erste Höhenmode mit „0-0-1“. Die dritte Längsmode beispielsweise, bei der also drei halbe Wellenlängen in die Raumlänge passen, wird mit „3-0-0“ bezeichnet, ihre Frequenz ist dreimal so hoch wie die erste axiale Längsmode.

Folgende Abbildung verdeutlicht den Zusammenhang:


  • Tangentiale Raummoden: Es sind vier Wände beteiligt (2 Raumdimensionen). Die Raummodenfrequenz errechnet sich über folgende Formel:


mit

c = Schallgeschwindigkeit

x = Anzahl der halben Wellenlängen in der ersten beteiligten Raumdimension (1, 2, …, ∞)

y = Anzahl der halben Wellenlängen in der zweiten beteiligten Raumdimension (1, 2, …, ∞)

L, B: Längen der beteiligten Raumdimensionen in Meter



Die tangentialen Moden eines Raumes sind um -3dB schwächer als die axialen Moden, sie besitzen also nur die Hälfte der Energie von axialen Moden.

Beispiel: Die erste tangentiale Raummode, bei der die Länge und die Breite des Raumes beteiligt sind, wird mit „1-1-0“ bezeichnet.

 

 

  • Oblique Raummoden: Es sind alle sechs Raumbegrenzungen beteiligt (3 Raumdimensionen). Die Modenfrequenz errechnet sich über die Formel:


mit

c = Schallgeschwindigkeit

x, y, z = Anzahl der halben Wellenlängen in den beteiligten Raumdimensionen (1, 2, …, ∞)

L, B, H: Länge der Raumdimensionen in Meter


Oblique Moden sind um -6dB schwächer als axiale Moden, sie besitzen nur ein Viertel der Energie von axialen Moden.                                 


Bei tangentialen und obliquen Moden gilt weiters Folgendes:


Bei tangentialen und obliquen Moden breitet sich die Schallwelle schräg im Raum aus. Tatsächlich kommen die stehenden Wellen/ Raummoden aber wie bei den axialen Moden zwischen den parallelen Wänden zustande. Folgende Abbildung zeigt die Wellenfront, die sich entlang der Kathete von Punkt B nach C schräg ausbreitet, entsprechend ändert sich auch zwischen den Punkten A und C die Schalldrucksituation und Phasenlage. Die Phasenlage ändert sich durch die schräglaufende Schallwelle zwischen A und C aber mit einer anderen Geschwindigkeit bezogen auf die Entfernung der Punkte. Die Moden passieren genau bei den Frequenzen, wenn eine geradzahlige Anzahl von halben Wellenlängen, bei dieser Phasengeschwindigkeit, in alle beteiligte Raumdimensionen passen.


Folgende Tabelle zeigt die ersten 25 Raummoden eines 4,9m x 4,5m x 3,1m großen Raumes nach Frequenz geordnet.


Aufgrund der Tatsache, dass axiale Moden um 3dB lauter als tangentiale Moden, und um 6dB lauter als oblique Moden sind, prägen vor allem sie den Frequenzgang eines Raumes. Um Überhöhungen im Frequenzgang durch dicht beisammen liegende axiale Moden, und Einbrüche durch weit auseinander liegende axiale Moden zu vermeiden, ist es wichtig bei der Planung eines Raumes und dessen Dimensionen auf den Abstand der axialen Moden zueinander zu achten. Dabei gibt es Raumproportionen die günstigere Modenverteilungen verursachen als andere. Gute Verhältnisse von Länge, Breite und Höhe eines Raumes mit einer gleichmäßigen Modenverteilung werden in der sogenannten Bolt-Area zusammengefasst.


Folgende Tabelle zeigt eine Übersicht von anerkannten günstigen Raumdimensionen:



Die Güte eines Raumes hinsichtlich des modalen Verhaltens kann weiters mit dem Bonello-Kriterium beschrieben werden. Der Frequenzbereich wird in 1/3 Oktaven unterteilt, innerhalb dieser Terzen werden die Anzahl der Moden gezählt. Diese Anzahl sollte von Terz zu Terz zu höheren Frequenzen hin immer mindestens gleich oder höher sein. Somit ergibt sich idealerweise eine Art exponentielle Kurve. Fällt die Kurve kurzzeitig ab, verringert sich also die Modenanzahl von einer Terz zu nächsthöheren, so ist das Bonello-Kriterium nicht erfüllt. Zusätzlich muss gelten: Befinden sich zwei Moden bei derselben Frequenz, so müssen noch mindestens drei weitere Moden in der Terz vorhanden sein, um erstere zu kompensieren.


Folgende Grafiken sind der Webseite von amcoustics entnommen, sie zeigen Veranschaulichungen von Modenberechnungen von zwei Räumen. Der erste Raum besitzt die Maße des Raumes „D“ in obiger Tabelle, er liegt inmitten der Bolt-Area, das Bonello-Kriterium (Gleichbleiben oder Ansteigen der Modenanzahl pro Terz) ist erfüllt. In der 3D-Ansicht sieht man beispielshaft die Schalldruckverteilung im Raum bei der „1-1-1“ obliquen Mode bei 114,7Hz. 

Der zweite Raum besitzt einen quadratischen Grundriss, der Raum liegt außerhalb der Bolt-Area, das Bonello-Kriterium ist nicht erfüllt. Die schematische 3D-Darstellung zeigt die Schalldruckverteilung bei der 2-0-0 Mode.


Die Raumresonanzen unterscheiden sich je nach Grad der Absorption im Raum auch in ihrer Güte bzw. Bandbreite. Je geringer die Absorption im Raum, umso höher ist die Güte der Mode, umso geringer ist also die Bandbreite, umso länger schwingt die Frequenz nach Abschalten der Schallquelle nach. Eine hohe Bandbreite einer Mode kann wünschenswert sein, denn je breiter der angesprochene Frequenzbereich, umso wahrscheinlicher werden auch benachbarte Moden (Vielfache der anregenden Modenfrequenz) angeregt, was wiederum eine höhere Modendichte und somit geringere lokale Veränderungen im Raum und einen ausgeglicheneren Frequenzgang bedeutet. Eine Anregung von mehreren Frequenzen durch eine Mode kann aber auch nachteilig sein, kommt es zu einer Überhöhung in einem Frequenzbereich so hat das hörbare, klangliche Auswirkungen.

Folgende Abbildung zeigt den Frequenzgang eines Raumes. Die starke Welligkeit im Bassbereich kommt von axialen Moden.


Folgendes Diagramm zeigt das dazugehörige kumulative Zerfallsspektrum, die z-Achse zeigt die Nachhallzeit, die im Bass bei den drei Eigenresonanzen massiv länger ist.


Raummoden sind im Studiobau eine große Herausforderung, weil man hier Referenzabhörbedingungen mit einem „tighten“, richtigen Bass möchte, und somit einen linearen Frequenzgang und Nachhallzeit im Bass braucht. Abgesehen von den Raumdimensionen und dem Wandaufbau und etwaigen Einrichtungsgegenständen spielt die Lautsprecherposition und auch die Hörposition eine entscheidende Rolle für die Entwicklung und Wahrnehmung der Raummoden. Meistens muss eine große Anzahl von Bassfallen (poröse Bassabsorber, Plattenschwinger, Helmholtzresonatoren, aktive Bassfallen) eingesetzt werden; für einen linearen Frequenzgang sorgt oft auch ein Raumkorrekturfilter. Subwooferarrays bieten die Möglichkeit stehende Wellen erst gar nicht entstehen zu lassen: Werden zwei Subwoofer links und rechts bei einem Viertel der Raumdimension aufgestellt, so wird sich in dieser Dimension keine stehende Welle erster Ordnung bilden, es wird bei dieser Frequenz quasi eine ebene Wellenfront produziert. Man kann die zwei Subwoofer auch zu einem „Single Bass Array“ erweitern, sodass die gesamte Frontwand den Schall abstrahlt, von einem „Double Bass Array“ spricht man, wenn weitere Subwoofer an der Rückseite des Raumes den Schall von vorne mit entsprechendem Delay „aufsaugen“, und sich somit auch in Längsrichtung keine Moden ausbilden können.



Quellen:

  • Master Handbook of Acoustics; Sixth Edition; Mc Graw Hill Education; F. Alton Everest and Ken C. Pohlmann
  • Sound Reproduction, Loudspeakers and Rooms; Focal Press; Floyd E. Toole
  • Die Audio Enzyklopädie; 2. Auflage; De Gruyter Saur; Andreas Friesecke
  • Acoustics and Psychoacoustics; Fourth Edition; Focal Press; David M. Howard and Jamie A. S. Angus
  • Recording Studio Design; Fourth Edition; Focal Press; Philip Newell
  • https://amcoustics.com/tools/amroc?l=500&w=500&h=270&re=ITU%20listening%20room
  • Akustische Messungen von Mag. Florian Mayerhoffer
  • https://amcoustics.com/tools/amroc (Diagramme und Bilder)


Hinweis:

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Florian Mayerhoffer (https://www.shape-the-sound.com/) und Francesca Tonetti (tonetti@rohde.at)  entstanden.


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