Die Schallabsorptionsgrade

tonetti • 16. August 2023

Schallabsorptionsgrad  ≠  praktischer Schallabsorptionsgrad  ≠  bewerteter Schallabsorptionsgrad 

In der DIN EN ISO 354 wird beschrieben, wie der Schallabsorptionsgrad αs eines flächenhaften Absorbers zu berechnen ist. Der Absorber wird im Hallraum geprüft. Dabei bestimmen die äquivalente Schallabsorptionsfläche und die Fläche, die er beim Einbau überdeckt, den Schallabsorptionsgrad:

Die äquivalente Schallabsorptionsfläche ist frequenzabhängig und wird in Terzbänder angegeben, folglich ist auch αs frequenzabhängig.

 

Nach DIN EN ISO 11654 ergibt sich aus dem spezifischen Schallabsorptionsgrad eines Objekts αs (in Terzen i) der praktische Schallabsorptionsgrad αP (in Oktaven i):

Die zweite Dezimale wird dabei in Schritten von 0,05 gerundet. Die folgende Tabelle zeigt ein Beispiel.

Aus dem praktischen Schallabsorptionsgrad kann der bewertete Schallabsorptionsgrad erschlossen werden.



Zunächst wird eine Bezugskurve in 0,05-Schritten so in Richtung der αPi verschoben, dass die Summe der ungünstigen Abweichungen maximal 0,10 beträgt. Ungünstige Abweichung bedeutet in diesem Fall, dass der Messwert (αP) kleiner als der Bezugswert ist. Ist die Verschiebung erfolgt, wird der Wert der verschobenen Bezugskurve bei 500Hz abgelesen - dieser entspricht dem bewerteten Schallabsorptionsgrad αw. Gibt es allerdings eine Überschreitung des praktischen Schallabsorptionsgrads von mehr als 0,25 in einem der Oktavbänder, wird ein sogenannter Formindikator mitangegeben: L, wenn die Überschreitung bei 250 Hz erfolgt, M bei 500 Hz oder 1000 Hz und H bei 2000 Hz oder 4000 Hz. Der bewertete Schallabsorptionsgrad αw bestimmt nach Norm auch die Schallabsorberklasse. 

In der Praxis diese werden diese Schallabsorberklassen sehr häufig verwendet, sollten dem/der Akustiker*in jedoch fremd sein und nur Marketing- und Verkaufszwecken dienlich sein! Aber wieso?


Betrachten wir zwei unterschiedliche Absorber:

  1. Eine gelochte Gipskartonplatte mit gerader Rundlochung, 200 mm angehängt mit einem bewerteten Schallabsorptionsgrad αw = 0,5.
  2. Ein 25 mm dickes PET-Vlies, 200 mm abgehängt mit einem bewerteten Schallabsorptionsgrad αw = 0,55.


Die Absorber scheinen mit der Bewertung durch diesen Einzahlwert sehr ähnlich zu sein und fallen sogar in dieselbe Absorberklasse. Schauen wir uns aber den frequenzabhängigen Verlauf von αs an. 

Abbildung 1: Frequenzabhängiger Verlauf des Schallabsorptionsgrades αS. Links: Gipskarton gelocht, gerade Rundlochung, 200 mm abgehängt. Rechts: 25 mm dickes PET-Vlies, 200 mm abgehängt.

Es ist eindeutig erkennbar, dass das Absorptionsverhalten der beiden Materialien keineswegs ähnlich ist. Die Kurve für die Gipskartonplatte ist eher flach und über den gesamten, betrachteten Frequenzbereich ähnlich. Der Verlauf des Absorptionsgrades vom PET- Vlies variiert hingegen von den tiefen Frequenzen zu den hohen hin sehr stark.

 

Die beiden Materialien können also keineswegs in gleicher Weise eingesetzt werden und dasselbe Ziel erreichen!

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