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Die Akustik im Musikverein Wien

tonetti • Juli 05, 2023

„Die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien hatte längst empfinden müssen, dass die ihr zu Gebote stehenden Räumlichkeiten in der Stadt unter den Tuchlauben weder für ihre Zwecke des Konservatoriums noch für die Konzerte mehr genügen.“

Theophil Hansen aus „Allgemeine Bauzeitung“ aus dem Jahre 1870


Am 5. Jänner 1870 fand die Schlusssteinlegung des neuen Konzertgebäudes mit dem Kaiser statt. Bereits am darauffolgenden Tag gab es ein Eröffnungskonzert, bei dem das Orchester, Solisten und ein Chor die zahlreichen Facetten des Saals preisgaben. Der dänische Architekt, Theophil Hansen, der zuvor in Griechenland studierte und tätig war, schuf in drei Jahren ein wahrhaft akustisches Meisterwerk - einen Tempel für die Musik.

Der große Saal mit seinen zahlreichen, akustisch essenziellen Elementen


Der Saal hat eine rechteckige Grundfläche von 48,9 m × 19,1 m und eine Höhe von 17,75m. Daraus ergibt sich eine 16.000 m3 große „Schuhschachtel“. Diese Form ist bereits das erste akustisch günstige Element. Laut einer Umfrage aus dem Jahre 2003 von L. L. Beranek gelten Konzertsäle mit der klassischen Quaderform als akustisch vorteilhaft. In der Studie bewerteten Zuhörer:innen den einhüllenden, starken und resonanten Klang solcher Säle als besonders positives Erlebnis.


Das nächste förderliche Bauelement sind die glatten Seitenwände im Zusammenspiel mit den hölzernen, hohlen Karyatiden. Auch der tiefe, sich über die gesamte Seitenwand ziehende, Balkon spielt eine wesentliche Rolle für die optimale Akustik im Saal. Die flachen und stabilen Seitenwände und der Balkon sorgen für starke seitliche Reflexionen in einem breiten Frequenzbereich. Aufgrund der Form des menschlichen Kopfes sind frühe seitliche Reflexionen für die Wahrnehmung sehr wichtig. Die Energie im Hochtonbereich, welche innerhalb von 80 ms nach dem Direktschall beim Hörer eintrifft, garantiert einerseits Brillanz bei hoher Dynamik und andrerseits ein starkes Hörerlebnis durch das „Erwachen“ des Saals bei steigender Spieldynamik vom Pianissimo bis zum Fortissimo. Die vertikalen Elemente führen zu Winkelreflexionen im Ausmaß etwa bis zur doppelten Wellenlänge der Balkontiefe. Wichtig ist dabei, dass der reflektierte Schall das Publikum in einem erhöhten Winkel erreicht. Nur dann kann die Dämpfung der hohen Frequenzen durch die benachbarten Zuschauer minimiert werden. Das Gleichgewicht zwischen glatten und streuenden Oberflächen ist wesentlich für ein optimales Klangerlebnis. Eine zu starke Streuung verringert nämlich die Klarheit der Musik, die Qualität der Bässe und verschlechtert die Lokalisierung der Quellen.


Ein dritter wesentlicher Baustein ist eine hohe, kassettierte Decke. Dadurch wird sichergestellt, dass seitliche Reflexionen vor den Deckenreflexionen im Publikum ankommen und eine gute Entwicklung des späten Nachhalls ermöglichen. Dabei entsteht ein Gleichgewicht zwischen einem klaren Klang und aber einem einhüllenden Klangerlebnis. Auch reflektieren die Kassetten einerseits den Schall zurück auf die Bühne, was den Artisten und Artistinnen das Zusammenspiel erleichtert, andrerseits reduzieren sie die tatsächliche Stärke der Deckenreflexionen. 


Zwei Besonderheiten, die in kaum einem anderen Konzertsaal der Welt vorhanden sind, sind die hölzerne Decke, die am Dachstuhl aufgehängt und nicht fest verbunden ist. Zusätzlich befindet sich unter dem Parkett ein riesiger Hohlraum, in dem die Bestuhlung bei Bedarf vollständig verstaut werden kann. Die exakte akustische Wirkung dieser Elemente ist jedoch nicht wissenschaftlich belegt. 

Für die ideale Ausbreitung der tiefen Frequenzen wirken die Konstruktion der Bühne und die nach unten offenen Sitzreihen gut zusammen. Unter der eigenen Helmholtz-Resonanz strahlt ein Instrument nur schwach ab - beim Kontrabass liegt diese bei etwas 60 Hz. Gespielt werden aber Töne mit Grundfrequenzen bis zu 33 Hz. Durch die Verbindung über den Stachel mit dem Bühnenboden, wirkt dieser als resonante Struktur und verstärkt die Ausbreitung der tiefen Frequenzen. Die Verteilung im Raum wird dann garantiert, wenn der Schall, über dem flachen Boden, die Sitze unterlaufen kann. 
Über die optimalen Eigenschaften der Bühnenrückwand sind sich Akustiker:innen noch nicht gänzlich einig. Nach derzeitigem Verständnis tendieren die Meinungen zu einer absorbierenden Lösung.


Worüber sie jedoch einer Meinung sind, ist die wesentliche Rolle der Nachhallzeit in einem Konzertsaal, der für klassische Orchestermusik ausgelegt ist. Abbildung xx und Abbildung xx zeigen die unterschiedliche Nachhallzeit-Kurven für den besetzten und unbesetzten Zustand. Es ist erkennbar, dass die Nachhallzeit im unbesetzten Zustand bei 1000 Hz bei ~3 Sekunden und im besetzten Zustand bei ~2 Sekunden liegt. Das ist ein bedeutender Unterschied von einer Sekunde. Zusätzlich steigt die Nachhallzeit zu den tiefen Frequenzen an. Diese Kurvenform hat sich für klassische und romantische Orchestermusiker als sehr gut geeignet herausgestellt und die Werte liegen im besetzten Zustand für den großen Saal liegen im optimalen Bereich.  Ein längere Nachhallzeit würde bedeuten das der Klang verschwimmt, eine kürzere Nachhallzeit würde bedeuten, dass es zu trocken wirkt.


All diese akustisch-wertvollen Elemente wurden vom Architekten nicht exakt berechnet, trotzdem folgte Theophil von Hansen einem sinnvollen architektonischen Konzept und schuf den Kronjuwelen unter den Konzertsälen. Nicht zu vergessen ist aber die geschichtliche Prägung, die dieser Saal erfuhr. Die berühmtesten Komponisten und Dirigenten waren und sind hier zu Gast, die renommierten Wiener Philharmoniker sind hier zu Hause und das alljährliche Neujahrskonzert verzaubert weltweit zahlreiche Zuhörer:innen.

Der berühmte Dirigent Zubin Mehta gab in einem Interview sogar preis, es sei der beste Saal der Welt:


„Man kann tun was man will, es klingt gut - falsche Noten klingen gut. […] Man kann ihn mit dem banalen Wort Akustik nicht beschreiben.”

 


Allein deswegen ist ein Besuch im Musikverein wärmstens zu empfehlen.

 


P.S.: Geheimtipp: Die Tonkünstler Niederösterreich sind ein hervorragendes Orchester und spielen regelmäßig zu erschwinglichen Preisen im Musikverein.

 

 



Quellen:



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