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Konzertzimmer

suess • Dez. 12, 2022

Konzertzimmer für Brittens "War Requiem" in der Oper Graz

Im Herbst 2019 kam die Anfrage von der Oper Graz, ob Rohde Acoustics bei der Umsetzung von Benjamin Brittens „War Requiem“ als akustischer Berater zur Seite stehen kann. Für die Inszenierung soll die Bühne über den Orchestergraben, bis in die ersten Publikumsreihen hinein, erweitert werden. Das sinfonische Orchester soll weit hinten im Bühnenraum platz nehmen, das Kammerorchester auf der Bühne im Saal und der Chor, Kinderchor und die Solisten singen und inszenieren zugleich auf der gesamten Bühne und teilweise auch im Zuschauersaal – das Publikum soll mitten im Geschehen stecken!

 

Die akustisch größte Herausforderung ist es, ein Konzertzimmer zu entwerfen, dass einerseits genügend Schall in das Publikum befördert und andererseits den Musikern optimale Bedingungen zum Musizieren schafft. Die folgenden Zeilen sollen zeigen, was die Anforderungen an ein Konzertzimmer sind und welche Faktoren bei der Planung bedacht werden müssen.


Zunächst stellt sich jedoch die Frage „Was ist eigentlich ein Konzertzimmer?“. Kurz und knackig:


Es dient zur Anpassung der Akustik des Bühnenhauses eines Theaters oder einer Oper für die musikalische Nutzung.


Ohne ein Konzertzimmer würde zu viel Schall im Bühnenhaus verschwinden, wodurch wichtige frühe Reflexionen für die Hörer und die Musiker fehlen. Im Optimalfall sind diese Reflexionen nicht zu stark fokussiert, sondern verteilt. Ziel ist es, dass jeder Musiker den anderen hören kann und dass beim Dirigenten und im Publikum ein ausgewogener Klang entsteht. Durch das Konzertzimmer kann sich das aktive Raumvolumen und damit die Nachhallzeit erhöhen. Für musikalische Darbietungen ist nämlich gegenüber Sprachlichen, wie Theater und Oper, eine längere Nachhallzeit wünschenswert.


Anforderungen des Hauses:


Das Konzertzimmer soll zwar die akustischen Herausforderungen meistern, muss sich aber genauso gut in den bestehenden Konzertsaal bzw. das Bühnenbild integrieren. Zudem ist eine leichte und kompakte Bauweise notwendig. Für die Techniker*innen des Hauses muss ein schneller Auf-/Abbau und eine platzsparende Lagerung des Konzertzimmers möglich sein.


Tipps zu Form und Aufbau:

       

Als erstes ist es sinnvoll, brennpunktbildende Umhüllungen, wie Zylinder oder Kugeln, zu vermeiden. Unter ihnen leidet zum einen die Kommunikation der Musiker und zum anderen der Klangeindruck beim Dirigenten und im Publikum. Die meisten Konzertzimmer haben einen trapezförmigen Grundriss, mit zum Publikum gewinkelten Seitenwänden und Deckensegeln/Plafonds. Dabei ist es förderlich für die Akustik, statt großen geraden Flächen mehrere leicht konvexe Teilflächen mit Struktur zu wählen. Durch eine solche Bauweise werden Brennpunkte, Resonanzen, Echos und destruktive Reflexionswege entschärft oder sogar vermieden. Ein Konzertzimmer muss zudem (und sollte auch) nicht komplett geschlossen sein. In der Praxis hat es sich bei vielen Konzertzimmern bewährt, mehrere Türme und Plafonds mit Spalten aufzustellen und -zuhängen.


Soll das Orchester, so wie im Fall des „War Requiems“, weit hinten auf der Bühne platziert werden, ist es ratsam eine „akustische Brücke“ zum Saal zu installieren. Beispielsweise in Form von Plafonds oder Winkelspiegelreflektoren.

 

Was macht eine Reflexion nützlich? 


Wie vieles in der Akustik ist auch die Wirkung eines Reflektors frequenzabhängig. Die Grundfläche, Winkellage zum Schalleinfall und die Entfernung der Schallquelle spielen eine Rolle. Bei der Annahme, dass die Reflektorabmessung b  klein ist gegen die Abstände zu Sender (α1) und Empfänger (α2), gilt:

λ gibt dabei die maximale Wellenlänge (tiefste Frequenz) an, bei der der Reflektor noch wesentlich wirkt.

 

Die Berechnung beruht auf der Theorie der Fresnel’schen Zonen, welche auch erklärt, dass ein geringer Abstand zwischen Quelle und Reflektor durch Interferenz zu Klangfärbung führen. (Interesse geweckt?)


Bei Sprache spricht man von nützlichen Reflexionen, wenn sie innerhalb Δt = 50 ms beim Hörer eintreffen. Das entspricht bei Raumtemperatur einem maximalen Schallweg von ca. Δl = 17 m und erhöht die Deutlichkeit, Verständlichkeit und Präsenz der Stimme. In der Musik ist die sog. „Verwischungsschwelle“ etwas später bei Δt = 80 ms anzusetzen. Wie bei der Sprache erhöht das die Deutlichkeit, Durchsichtigkeit und Präsenz der Musik.

 

Möglichkeiten der Klangfärbung und nachträglichen Anpassungen


Die Klangfarbe kann durch verschiedene Mittel manipuliert werden. Stoffe auf den Reflektoren nehmen dem Klang die Schärfe. Absorber in Ecken oder Kanten können Moden- und Brennpunktbildung vermeiden und eignen sich gut tiefe Frequenzen zu dämpfen, falls ein Konzertzimmer „brummt“.


Noch während der Planung sollte man darüber nachdenken durch welche Faktoren man nachträglich die Akustik des Konzertzimmers verändern kann. Ein naheliegender Weg ist es, die Plafonds höhen- und winkelverstellbar aufzuhängen an den ohnehin vorhandenen Seilzügen im Bühnenhaus. Ebenso ist der Einsatz einer Aktiven Akustik (Acoustic Enhancement) denkbar. Um das Ensemblespiel des Orchesters zu verbessern, können mit einer Mikrofonierung zusätzliche Reflexionen zur Verdichtung erzeugt werden, bis eine höhere Präsenz spürbar ist. Wichtig dabei ist die Einstellung der passenden Laufzeiten, um die Richtungswahrnehmung nicht auf die Lautsprecher zu richten. Mit frühen Reflexionen und zusätzlicher Energie wird die Akustik „angereichert“.  

Das Konzertzimmer für Brittens „War Requiem“


Im Austausch mit Bühnenbildnern und Technikern hat sich über mehrere Wochen ein Konzept entwickelt, das versucht die akustischen, optischen und praktischen Anforderungen gleichermaßen zu berücksichtigen. Optisch baut sich das Konzertzimmer gut in das Bühnenbild ein und die leichte Bauweise ermöglicht einen schnellen Auf- und Abbau. Der trapezförmige Grundriss und die justierbaren Plafonds reflektieren den Schall gut in den Saal. Die Säulen bringen Struktur auf die sonst geraden Flächen, was die Reflexionen ungezielter macht. In den Ecken links und rechts unten befinden sich hinter der Tapete Absorber, um im tiefen Frequenzbereich ein wenig den Druck zu nehmen. Weitere Plafonds außerhalb des Konzertzimmers bilden eine akustische Brücke in den Saal.


Ein hilfreiches Tool für die Planung ist Raytracing, wobei einzelne Schallstrahlen und ihre Reflexionen simuliert werden. Damit kann die Wirkung und Abstrahlungsrichtung der verschiedenen Plafonds überprüft werden. Die folgende Abbildung zeigt die Reflexionen an den Deckenplafonds von verschieden Quellpositionen. Ideal ist eine möglichst gleichmäßige Verteilung der Reflexionen auf das gesamte Publikum, was hier bei den meisten Quellpositionen der Fall ist.

Die Orchesterproben und eigene akustische Tests haben schnell gezeigt, dass das Konzept gut funktioniert. Im Nachhinein wurden lediglich die Streicher etwas durch elektroakustische Verstärkung angehoben, da sie zum einen fast außerhalb des Konzertzimmers sitzen und zum anderen der Chor auf der Bühne große Teile des direkten Schalls absorbiert. Auch Chefdirigent Roland Kluttig, der schon in einigen Konzertzimmern dirigieren durfte, war sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Es ist gelungen aus zwei Räumen, Zuhörersaal und Bühnenhaus, einen Raum zu schaffen. Das hat den zahlreichen Musikern das Zusammenspiel über große Distanzen ermöglicht und im Publikum einen ausgeglichenen Klang erzeugt. Ein Kritikpunkt an dem Konzertzimmer ist der hohe Pegel innerhalb des Zimmers, welchem die Orchestermusiker ausgesetzt sind. Statt den geschlossenen Flächen sollten daher lieber einzelne Flächen gewählt werden – der Druck nimmt dann über die Lücken etwas ab. Für die Bühnenbildner bedeutet das jedoch oft Abstriche machen zu müssen!


Wer mehr über die Raumakustik aus der Sicht eines Dirigenten erfahren möchte, findet hier ein Interview mit Roland Kluttig. Er beantwortet Fragen zu Konzertsälen, Proberäumen und unserem Konzertzimmer für Brittens "War Requiem".

Am 24. September 2022 kam das Requiem erstmals auf die Bühne der Oper Graz und wurde bis Ende November gespielt – ungefähr 60 Jahre nachdem Brittens „War Requiem“ bei der Eröffnung des Mahnmals, an der im 2. Weltkrieg zerstörten Kathedrale von Coventry, uraufgeführt wurde. Es ist ein Werk, das an den Krieg und zugleich an Versöhnung einstiger Feinde erinnert. 


Warum gibt es nicht das eine perfekte Konzertzimmer?


Gegenfrage: Gibt es überhaupt eine perfekte Raumakustik? Jeder Raum klingt anders, sieht anders aus und ist für unterschiedliche Anforderungen gebaut. Es können zwar Simulationen herangezogen und komplizierte Formeln berechnet werden, aber allein das macht ein Konzertzimmer nicht perfekt. Es gehören eine Menge Menschen mit einer noch größeren Menge an Kreativität, Erfahrung und Knowhow dazu!





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