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Akustik im Konferenzraum

suess • Feb. 02, 2023

Nachhallzeitmessung im Konferenzraum unseres neuen Büros in Wien

Wer schon einmal umgezogen ist kennt es: leere Räume mit extrem langer Nachhallzeit, die vielleicht zum Singen einladen aber Unterhaltungen quasi unmöglich machen. So war das vor kurzem auch bei uns. Wir sind in ein neues Büro gezogen und unser Konferenzraum hat der Nachhallzeit des Wiener Stephansdoms Konkurrenz gemacht… Für Besprechungen ist das eher suboptimal! Wie es sich für ein Akustikbüro gehört, hatten wir schon geeignete Absorber zur Hand und ich durfte Schritt für Schritt erst Bassfallen und dann Wandpaneele in den Raum stellen, um deren Wirkung zu messen und zu dokumentieren. Der folgende Artikel soll zeigen, wie die akustischen Maßnahmen in unserem Meetingraum gewirkt haben. Wer nicht so gerne liest, kann sich die Ergebnisse auch gleich anhören und -sehen:

Zunächst nochmal eine kurze Wiederholung, was es eigentlich mit der Nachhallzeit auf sich hat und wie diese mit der Absorption zusammenhängt:


Die RT60 (Nachhallzeit) beschreibt die Zeitspanne, innerhalb der sich der Schalldruckpegel nach Verstummen einer Schallquelle in einem Raum um 60 dB verringert. Nach W. C. Sabine lässt sich die Nachhallzeit eines Raumes aus dessen Volumen und äquivalenter Absorptionsfläche berechnen:

V = Volumen [m3]

A = Äquivalente Absorptionsfläche [m2]


Die äquivalente Absorptionsfläche ergibt sich aus

wobei Sges der gesamten Fläche und αges dem durchschnittlichen Schallabsorptionsgrad der absorbierenden Materialien entspricht. Die äquivalente Absorptionsfläche wird für jedes Oktavband (oder Terzband) einzeln betrachtet. Anhand dieser Beziehungen lässt sich die erforderliche äquivalente Absorptionsfläche einfach berechnen, um eine gewünschte Nachhallzeit zu erzielen. Andersherum lässt sich auch aus zwei gemessenen Nachhallzeiten die akustische Wirkung von Absorbern in einem Raum bestimmen.

 

Was ist die Anforderung an die Nachhallzeit in einem Besprechungsraum?

Orientiert man sich an der ÖNORM B 8115-3, Hörsamkeit, mit der Raumnutzung „Kommunikation“, so ergibt sich für unseren Meetingraum eine optimale Nachhallzeit von 0,45 Sekunden.

Dass der leere Raum die Anforderung nicht erfüllt, lässt sich auch ohne Messung sicher sagen… aber wie lang ist die Nachhallzeit? Was schätzt du?

Bevor wir nun deine Schätzung mit einer Messung vergleichen, noch ein paar Infos für das Messprotokoll: Ganz leer ist der Raum natürlich nicht, neben mir selbst befindet sich ein kleiner Tisch für den Laptop, das Messequipment und eine Kamera in ihm. Als Messimpuls dient das Zerplatzen eines Papiersackerls. Pro Setup wird allerdings nur einmal gemessen, es findet also keine Mittelung über mehrere Messzyklen mit unabhängigen Sender-Quell-Positionen statt. Für eine normgerechte Messung müsste die Messung daher genauer durchgeführt werden (sh. Normen).

Wie erwartet, ist die Nachhallzeit im leeren Raum um einiges zu lang. Sie bewegt sich im gesamten Frequenzbereich zwischen 1,5 und 2 Sekunden – ungefähr vier Mal länger, als die Norm es verlangt.

Um zuerst einmal die tiefen Frequenzen in den Griff zu kriegen, kommen vier Basstraps in den Raum – eine in jede Ecke. In den Ecken sind Bassfallen am effektivsten, da sich aufgrund der Raummoden dort sehr viel Energie sammelt und dadurch genau dort besonders viel davon dem Schall entzogen werden kann. 

Wie erwartet, werden durch die Basstraps vor Allem die tiefen Frequenzen gedämpft. Bisher befindet sich jedoch keines der Oktavbänder innerhalb des Toleranzbereiches.

So klingt der Raum mit den Basstraps:

Schallabsorber werden in Hallräumen vermessen, um Aussagen über deren äquivalente Absorptionsfläche zu treffen. Anhand der zwei bisher durchgeführten Messungen lässt sich über die Sabine’sche Nachhallzeitformel leicht die äquivalente Absorptionsfläche  der vier Bassfallen in unserem spezifischen Fall berechnen:

Im nächsten Schritt wurden vier Wandpaneele der Firma Ecophon in den Raum gestellt (Vielen Dank an Sebastian Kraync und Torsten Siemering von Ecophon!). Die 2,7 x 1,2 m großen Absorber lehnen an den beiden langen Raumseiten. 

Durch die Wandpaneele hat sich die Nachhallzeit vor allem im mittleren und hohen Frequenzbereich verringert – allerdings nicht sonderlich gleichmäßig über die Oktaven hinweg. 

Kürzere Nachhallzeit, aber dafür ein Parade-Flatterecho! Die Absorber sind ungeschickt verteilt, sodass Decke und Boden und die zwei kurzen Wandseiten jeweils parallele, reflektierende Flächen bilden. Das dadurch entstehende Flatterecho ist anhand der Nachhallzeit bei 1 bis 2 kHz und der Impulsantwort gut sichtbar.

In dem Energy Decay Diagramm fallen zwar keine einzelnen herausstechenden Peaks auf, es ist jedoch ab -40 dB eine starke Periodizität zu erkennen, was mit dem Klang des Flatterechos gut zusammenpasst:

Anstatt nun panisch noch mehr Absorber zu bestellen, lohnt es sich kurz zu überlegen, wie man die Absorber sinnvoll im Raum anordnen könnte. Wichtig dabei ist, dass bei parallelen Wänden zumindest eine davon mit absorbierendem Material ausgestattet ist. So lassen sich Flatterechos vermeiden. Zudem ist es ratsam die Absorber möglichst gleichmäßig zu verteilen. 

Et voilá – das Flatterecho ist nicht mehr zuhören… 

…und die Nachhallzeit befindet sich bis auf in der 125 Hz Oktave im vorgeschriebenen Toleranzbereich, trotz gleicher Menge an absorbierendem Material im Raum. Deshalb unbedingt merken: die Anordnung der Absorber ist sehr entscheidend!

Nochmal in anderen Worten: Die äquivalente Absorptionsfläche der vier Wandpaneele hat sich durch die neue Anordnung der ohnehin vorhandenen Absorber deutlich vergrößert. Und zwar um…

Hier nochmal die Verschiedenen Anordnungen zum anhören und -sehen: 

Falls du die Akustik in einem Konferenzraum verbessern möchtest, beachte folgende Tipps:

  • Wähle geeignete Absorber um die Nachhallzeit im gesamten Frequenzbereich anzupassen
  • Die Anordnung der Absorber ist entscheidend
  • Basstraps in Ecken, um möglichst gut tiefe Frequenzen abzuschwächen
  • Keine parallelen reflektierenden Wände um Flatterechos zu vermeiden – einfach eine der zwei Wände mit Absorbern ausstatten 
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