Hallraum

tonetti • 1. Juli 2022

Das Pendant zu reflexionsarmen Räumen

Hallräume sind das Pendant zu reflexionsarmen Räumen. Sie weisen schallharte, reflektierende und nicht parallele Raumbegrenzungsflächen auf, um eine möglichst lange Nachhallzeit und ein möglichst diffuses Schallfeld ohne Resonanzen hervorzubringen. Dazu wird geschlossenporiger, schallharter Beton oder Fliesen für die Raumbegrenzungen verwendet. In den Raum werden zusätzliche Platten, sogenannte Diffusoren eingebracht, die unter Umständen unterschiedlich ausgerichtet werden können, damit der Schall in alle Richtungen verteilt wird. Als Schallquelle werden allseitig abstrahlende Lautsprecher oder Schreckschusspistolen verwendet.

Hallräume dienen zur Schallleistungsbestimmung von z.B. Lüfter, Motoren und Antriebe nach DIN EN ISO 3741 oder zur Schallabsorptionsmessungen von Akustikdecken, Absorbern, Theaterstühlen, Vorhängen, Wandverkleidungen, Möbeln nach DIN EN ISO 354. Sie werden oft auch in Studiokomplexen gebaut und liefern einen „echten“ Nachhall für Audioproduktionen. Zu guter Letzt wird auch die Dämmung von Schallschutzkabinen nach DIN EN ISO 11957 in Hallräumen gemessen.



Die Größe von Hallräumen liegt zwischen 150 und 400m³ Volumen, sie haben eine Nachhallzeit von mehreren Sekunden und eine untere Grenzfrequenz von bis zu etwa 130Hz. Bis zu dieser unteren Grenzfrequenz ist eine Messung nach Norm in der Praxis möglich. Eine empirisch ermittelte Grenzfrequenz für Hallräume ist:


mit

fg = Grenzfrequenz [Hz]

T = Nachhallzeit [s]

V = Raumvolumen [m3]


Die Grenzfrequenz nach dieser praxisorientierten Formel liegt eine Oktav unterhalb der so genannten Schröderfrequenz, welche streng genommen die eigentliche untere Grenzfrequenz eines Raumes darstellt, sie hat die Formel:


Die Schröderfrequenz stellt die Frequenz eines Raumes dar, oberhalb welcher die Raummodendichte so groß ist, dass es zu keinerlei Klangverfärbungen kommt. Das oberhalb dieser Grenzfrequenz vorhandene diffuse Schallfeld definiert sich durch eine konstante räumliche Energiedichteverteilung und eine stochastische gleichverteilte Schalleinfallsrichtung. Unterhalb der Grenzfrequenz sind genannte Definitionen nicht erfüllt, es kommt zu einem modalen Verhalten mit Raumresonanzen und deutlich unterschiedlichen Abklingzeiten der einzelnen Frequenzen.

 

 

Messungen im Hallraum

 

Generell werden die Mikrofone in einem Hallraum mindestens einen Meter von der Wand entfernt aufgestellt, um Moden, bzw. den Energieanstieg in Wandnähe zu vermeiden und weiters mindestens zwei Meter von der Schallquelle entfernt platziert, um sicher außerhalb des Hallradius zu sein. Der Hallradius ist die Grenze um eine Schallquelle, bei der der Direktschallanteil und der Raumschallanteil bzw. der diffuse Schallanteil gleich groß sind. Bei einer Nachhallzeitmessung wird zudem meist erst nach dem Abfall der ersten 5dB gemessen, um den Direktschall und die Erstreflexionen auszuschließen.

Für die Messung der Schallleistung eines eingebrachten Gerätes reicht eine einzige Schalldruckpegelmessung im Diffusfeld. Es stellt sich ein Energiegleichgewicht aus zugeführter und absorbierter Schallenergie ein. Im Diffusfeld des Hallraums baut sich entsprechend der zugeführten Schallleistung ein stationärer Schalldruck auf, der von der Größe des Raumes, in dem sich die Energie verteilt, abhängt. Der Schalldruckpegel Lp und die Schallleistung Lw sind bei einer Schallleistungsmessung im Hallraum miteinander verknüpft. Solange der Hallraum in seiner Größe bzw. dem Absorptionsverhalten gleichbleibt, gibt es eine konstante Differenz zwischen den beiden Größen. Absolut gesehen ändert sich die Differenz aber je nach Raumvolumen und Nachhallzeit. Es gilt folgende Formel:

mit

 

Lw = Schallleistung [dB]

LP = Schalldruckpegel [dB]

T60 = Nachhallzeit [s]

V = Volumen [m³]

k = Sabinesche Konstante (= 0,163)

 

Bei der Schallabsorptionsmessung von Gegenständen bieten Hallräume aufgrund deren geringen Schallabsorption einen großen Vorteil. Folgende einfache Formel des Physikers W. C. Sabine gibt den Zusammenhang zwischen Nachhallzeit, Volumen und Absorptionsfläche eines Raumes mit geringer Absorption wieder:

mit

 

V = Volumen [m³]

A = äquivalente Schallabsorptionsfläche [m²]


Die verschieden absorbierenden Oberflächen eines jeden Raumes tragen zur Gesamtabsorption des Raumes bei. Dabei wird die Gesamtoberfläche in Teilflächen zu bestimmten unterschiedlichen Absorptionsgraden unterteilt. Die Summe der Teilflächen Si [m²] mit ihren Absorptionsgraden αi [%] kann auch als eine einzige Fläche mit einer Absorption von 100% beschrieben werden, die so genannte äquivalente Schallabsorptionsfläche A. Ändert man nun in einem Raum, dessen Nachhallzeit und Volumen (und äquivalente Schallabsorptionsfläche) bekannt ist, einen Teil der Oberfläche durch ein Material mit einem anderen Schallabsorptionsgrad (bei Absorptionsmessungen in Hallräumen üblicherweise 10-12m²), so hat dies eine unmittelbare Wirkung auf die Nachhallzeit. Misst man diese neue Nachhallzeit, kann man auf den Schallabsorptionsgrad der neuen Teilfläche zurückrechnen.

Bei diesen Absorptionsgradbestimmungen ist es wichtig, dass es keine „offenen Seiten“ gibt: Soll z.B. der Absorptionsgrad eines Schallabsorbers mit 10cm Dicke bestimmt werden, so müssen die Ränder des am Boden liegenden Absorbers abgedeckt werden, um eine dort zusätzliche Absorption zu verhindern. Ansonsten wäre der bestimmte Absorptionswert größer als der, der eigentlich interessierten Hauptfläche des Absorbers. Manchmal wird dies nur ungenügend berücksichtigt und es resultieren Absorptionsgrade α > 1, die real nicht möglich sind.



Aufgepasst!


Ein im Jahr 2011 durchgeführter Ringversuch von Schallabsorptionsgradmessungen in Hallräumen hat gezeigt, dass unterschiedliche Hallräume für beträchtliche Unterschiede in den gemessenen Absorptionsgraden von Materialien (Differenz α = 0,2) verantwortlich sind. Die Gründe dafür sind die unterschiedlichen Schröderfrequenzen der einzelnen Hallräume, die unterschiedliche Anzahl von Diffusoren und deren Größe, die unterschiedlichen Anregungssignale der Räume (abgeschaltetes Rauschen versus Impulsanregung) und schließlich auch, ob die Nachhallzeit RT60 (Zeit für Abfall um 60dB, per Definition) aus Extrapolation von T20 (gemessener Abfall von 20dB mit 3 multipliziert) oder T30 (gemessener Abfall von 30dB mit 2 multipliziert) oder T40 (gemessener Abfall von 40dB mit 1,5 multipliziert) ermittelt wurde.

Der Abklingvorgang eines jeden realen Raumes gleicht aufgrund des nicht idealen diffusen Schallfeldes einer Krümmung/ Kurve und nicht einer Geraden (letzteres wäre die Voraussetzung für obiges Vorgehen). Somit ergeben die unterschiedlichen Regressionsgeraden der Teil-Nachhallzeiten T20, T30, T40 unterschiedliche Nachhallzeiten RT60. In der Praxis wird darüber hinaus manchmal die „Early Decay Time“ (der Abfall der ersten 5dB) mitgerechnet, manchmal nicht, was zusätzlich zu unterschiedlichen Nachhallzeitmessungen und somit Absorptionsgradmessungen führt.

Das nicht ideale, diffuse Schallfeld, das auch auf Hallräume zutrifft, erklärt sich durch das modale Verhalten bei tiefen Frequenzen und die nicht perfekt gleichmäßige Verteilung der Absorptionsflächen über die gesamte Raumoberfläche. In der Praxis wird das zu messende Material in einer zusammenhängenden Fläche am Boden platziert, oder im Falle einer Absorptionsmessung von Vorhängen vor einer einzelnen Wand platziert.





Quellen:


Hinweis:

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Florian Mayerhoffer (https://www.shape-the-sound.com/) und Francesca Tonetti (franctonescatti@gmail.com)  entstanden.





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