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Die Akustik der Staatsoper Berlin

tonetti • März 31, 2022

Die Akustik der Staatsoper Berlin

Abbildung 1: Decke der Staatsoper Berlin. Credits: Staatsoper Unter den Linden - Gordon Welters

Viele große Dirigenten begeisterten bereits das Publikum der Berliner Staatsoper. Meister wie Felix Mendelssohn-Bartholdy, Erich Kleiber, Otto Klemperer, Herbert von Karajan, Otmar Suitner und Daniel Barenboim leiteten das Orchester des ältesten Opernhaus Berlins. Die Geschichte dieses kostbaren Bauwerks ist jedoch sehr bewegt. 1742 als erste freistehende Hofoper erbaut wurde sie sieben Mal umgebaut.

Über die ältesten Um- und Wiederaufbauarbeiten ist wenig bekannt, jedoch weiß man, dass es von Beginn an Bedenken über den nötigen Brandschutz gab. Tatsächlich brannte das Gebäude, kurz vor Beginn der Sanierungsarbeiten 1843, bis auf die Grundmauern nieder. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Staatsoper bombardiert, aber bereits im Dezember 1942 wiedereröffnet.

Viele Jahre leitete Otmar Suitner das Opernhaus und trug zur positiven Entwicklung des Ensembles bei. Seit 1992 ist Daniel Barenboim künstlerischer Leiter und Musikdirektor. Er hob die Staatsoper und seine Staatskapelle auf Weltniveau.

Schließlich führten sein Verlangen nach einer besseren Akustik im Zuschauersaal und die Anforderungen an eine adäquate Brandschutzsanierung 2010 zum Beginn der aufwändigsten Umbauarbeiten in der Geschichte der Staatsoper.   


                     

Abbildung 2: Außenansicht der Staatsoper Unter den Linden. Links: 1832. Rechts: Heute (Credits: Staatsoper Unter den Linden / Marcus Ebener.)



Der Entwurf für die Verbesserung der Akustik


Die Akustik im denkmalgeschützten Zuschauersaal sollte verbessert werden, ohne eine elektroakustische Anlage einzuführen und ohne die Außenmauern der Staatsoper zu verändern.

Das Ziel war es die Nachhallzeit von ungefähr einer Sekunde auf einen Wert von 1,6 Sekundenzu bringen. Dieser Zielwert nähert sich einem Idealwert für Konzertsäle, bei dem Zuhörer*innen von einem angenehmen Klangerlebnis berichten. Dazu zählt auch, dass die Lautheit im Saal nicht unverhältnismäßig hoch wird. Auch dieser Aspekt stellte bei der Planung der Sanierungsarbeiten ein Hindernis dar. 

Außerdem sollte das Volumen des Saals um ca. 3000m3 vergrößert werden, um mehr Personen Platz bieten zu können. Wie kann der Zusammenhang von Nachhallzeit, Saalvolumen und Personenanzahl jedoch verstanden werden?   



Die Sabin’sche Nachhallformel und wichtige Raumakustische Gütemaße


Die Sabin’sche Nachhallformel wird abgeleitet von der Energiebilanz in einem Raum, der von einer Schallquelle mit einer bestimmten Leistung angeregt wird.

Die Energie im Raum lässt sich als Differenz von Energiezufluss und Energieabfluss darstellen. Aus dieser Differenz und dem Abfall der mittleren Schallenergie um eine bestimmte Pegeldifferenz, bedingt durch Absorptionsflächen, ergibt sich für die Nachhallzeit folgende Formel:


Der Koeffizient ergibt sich aus der Schallgeschwindigkeit c und der Zeitspanne, in der der Schalldruckpegel um 60dB abgenommen hat. V [m3] ist das Raumvolumen und AGes [m2]  ist die äquivalente Absorptionsfläche, d.h. die Summe aller absorbierenden Flächen im Raum.

Vergrößert man das Volumen des Raumes, verlängert sich die Nachhallzeit. Ein größeres Volumen bedeutet jedoch gleichzeitig mehr Absorptionsflächen im Raum und somit wieder eine Verkürzung der Nachhallzeit. Deshalb ist es wichtig, bei Vergrößerung des Volumens, auch die Absorptionsflächen zu adaptieren. Diese Wechselbeziehung galt es auch beim Umbau des großen Saals der Berliner Staatsoper zu beachten.

Ein weiterer Zusammenhang besteht zwischen Nachhallzeit und Lautheit, auch Stärkemaß G genannt, in einem Raum.

Das Stärkemaß ist das Verhältnis des Schallpegels, das an einem Hörerplatz von einer kugelförmig abstrahlenden Quelle erzeugt wird und dem Schallpegel, den dieselbe Quelle im Freifeld in 10m Entfernung erzeugt. Ist es zu hoch, wirkt ein Konzertsaal unangenehm laut. Optimalwerte liegen für G zwischen 0dB und 10dB.

Bei Verlängerung der Nachhallzeit, kann es passieren, dass auch die Lautheit zunimmt, da die Energieabnahme im Raum langsamer erfolgt. Auch dieser Aspekt beeinflusste die Umbauarbeiten der Staatsoper.

Da der Saal eher klein für einen Opernsaal ist (war) und eine hohe Lautheit aufwies, sollte diese nicht weiter zunehmen.

Ein weiters wichtiges Stärkemaß für die Bewertung eines Opernsaals ist das Klarheitsmaß C80.

Es wird aus dem logarithmischen Verhältnis zwischen der Energie in den ersten 80ms zur Gesamtenergie ab den 80ms berechnet und sollte auf allen Zuhörerplätzen über 0dB liegen. Dann sind aufeinanderfolgende Töne gut unterscheidbar. Liegt das Klarheitsmaß unter 0dB, wird der Hörer stärker von der Musik umhüllt und die einzelnen Stimmen verschmelzen zu einem einzigen Klanggemisch. Welche Anforderung eingehalten werden sollte, hängt auch vom Repertoire des Konzertes ab.

Diese Parameter galt es, unter strengen Denkmalschutzvorgaben zu verbessern.

 


Die Wiedereröffnung


Nach sieben Jahren Umbauarbeiten wurde die Staatsoper Unter den Linden im Oktober 2017 wiedereröffnet.

„Man merke sofort, dass sich die Akustik verbessert habe. Man fühlt sich beim Spielen viel wohler“ bemerkte ein Orchestermusiker sofort.


Welche Maßnahmen wurden vom Projektberater Martijn Vercammen und der raumakustischen Beraterin Margriet Lautenbach von der Peutz GmbH ergriffen?


Zunächst wurde ein Modell zur Strahlenverfolgung in CATT-Acoustic erstellt. Durch dieses erste Simulationsmodell konnte die Anhebung des Binderraums oberhalb des Zuschauersaals um 5 m simuliert werden, um eine Volumsvergrößerung auf 9300m3 zu ermöglichen. Die Bestandsituation wurde mit der neuen Situation verglichen und Nachhallzeit und Stärkemaß berechnet.

Da der genaue Wellencharakter von Schall mittels statistischer Verarbeitung von Reflexionsrichtungen nicht prognostiziert werden kann, fertigte das Peutz-Team auch ein Maßstabmodell an. Auch hier wurde die Bestandsituation mit der neuen Situation verglichen.

Es entstand dabei die Frage, ob der neue Raum schwach oder stark an den Zuschauerraum gekoppelt werden sollte. Nach einigen Berechnungen konnte festgestellt werden, dass die beiden Räume durch eine möglichst große Kopplungsfläche verbunden werden sollten. Dabei wird der angekoppelte Raum fast ein Teil des Gesamtvolumens und das wird subjektiv positiver wahrgenommen.

Die Verbindung entstand über eine schalloffene Netzstruktur. Der Architekt H.G. Merz wollte damit auf die ursprüngliche Architektur verweisen und gleichzeitig eine schalldurchlässige Verknüpfung schaffen.

Durch die gelungene Raumvergrößerung musste die Schallabsorption einiger Flächen verringert werden. Es entstanden eine neue Schabracke sowie neue Wandverkleidungen und Brüstungen.

Auch die Bestuhlung, die eine der wichtigsten schallabsorbierenden Flächen darstellt, wurde neu definiert.

Mit Hilfe einer höheren, ergonomischen Rückenlehne, einer dünnen Polsterung und dem Einbau einer luftdichten Schicht in den Sitzen konnte der Sitzkomfort erhöht werden ohne Erhöhung der Absorption.

Die geplante Nachhallzeit von 1,6 s konnte erreicht werden.

Das Stärkemaß beträgt, mit Ausnahme des 3. Rangs, im gesamten Saal 4 - 5 dB.

Auch das Ziel, die Lautheit im Saal nicht zu erhöhen, konnte erreicht werden.

Die neuen Werte des Klarheitsmaßes nähern sich denen, eines optimalen Konzertsaals sehr gut an.

Dabei ist der Klang im Parkettbereich etwas reicher (geringere Werte) und in den Rängen etwas direkter.



Abbildung 3: Fotos aus dem Zuschauerraum. Credits: Staatsoper Unter den Linden - Marcus Ebener

Abbildung 4: Foto der schalloffenen Netzstruktur. Credits: Staatsoper Unter den Linden - Gordon Welters


Quellen:


Credits:

Dieser Text ist in Zusammenarbeit mit Francesca Tonetti (franctonescatti@gmail.com) entstanden.


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