Blog-Layout

Die Akustik des Musikverein Wien

kaiser • Juli 07, 2020

Die Akustik des Musikverein Wien

Der große Saal im Wiener Musikverein als einer der Konzertsäle mit der besten Akustik weltweit speziell für Orchestermusik der Klassik und Romantik.
 
Es gibt prinzipiell vier Hauptfaktoren welche die Akustik in einen Konzertsaal beeinflussen: 
• Raumvolumen 
• Raumproportionen 
• Publikumsfläche
• Oberflächenstruktur- und Materialien der Wand und Decke

Der Musikverein ist 48,8 m lang, 17,1 m breit und 19,8 m hoch. Das bedeutet ein Volumen von 16.544 m³. Dies steht im Verhältnis zu einer Zuschaueranzahl von 2000 Personen (1700 Sitzplätze und 300 Stehplätze). Das Verhältnis ist sehr wichtig, weil es uns einen Hinweis dafür gibt wie laut es im Saal überhaupt werden kann. Ein zu großes Verhältnis - also zu großes Volumen - bedeutet das die Musik Gefahr läuft zu leise vor allem in den hinteren Reihen zu werden. Ein zu kleines Volumen bedeutet, dass es auch zu laut werden kann. Den Musikvereinssaal würde ich eher auf der lauteren, einen mächtigen klangerzeugenden, Seite einordnen. Ich habe es auch selbst schon erlebt das es mir zu laut war, aber prinzipiell liegt das Verhältnis in einen sehr guten Bereich.

Weiter spielt die Nachhallzeit eine essenzielle Rolle. Die Nachhallzeit im Musikverein liegt zwischen 2,4 und 2,8 Sekunden (je nach Besetzungsgrad) in den mittleren Frequenzen und ansteigend zu den tiefen Frequenzen. Dieser Bereich hat sich für klassische und romantische Orchestermusiker als sehr gut geeignet herausgestellt. Ein längere Nachhallzeit würde bedeuten das der Klang verschwimmt, eine kürzere Nachhallzeit würde bedeuten, dass es zu trocken wirkt. 

Die Raumbreite im Musikverein mit ca. 17 m führt dazu, dass es sehr starke seitliche frühe Reflexionen gibt. Wenn Reflexionen innerhalb eines Zeitfensters von ca. 80 ms nach dem Direktschall eintreffen, reichert das den Klang an, die Musik wirkt „breiter“ und dies erhöht auch die Klarheit. 

Die Wandoberflächen sind im Goldenen Saal sehr stark strukturiert was zu einer starken Schallstreuung führt. Man sieht im Parkett die erhöhten Logen, die Statuen und Säulen, der Balkon und weitere Ornamente und Figuren im oberen Bereich sowie Kassettierten Deckenflächen. Überall gibt es Elemente die den Schall streuen und das führt zu einem sehr diffusen Nachhall der sich in Form eines einhüllenden Klangerlebnis auswirkt.

Summa summa-rum kann man sagen, dass der Architekt Theophil Hansen (um 1870) sehr viel richtig gemacht hat. Eher aus Intuition heraus, da im 19. Jahrhundert noch keine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Raumakustik stattfand. 

Ein weiteres Element, welches nicht zu vergessen ist in der Beurteilung der Akustik, ist der Mythos Musikverein. Wer hier schon aus und ein gegangen ist: Brahms, Bruckner, die Sträusse, Bernstein, alle nicht mehr und noch lebenden berühmten Dirigentinnen und Dirigenten, die Wiener Philharmoniker proben im Saal und spielen sehr viele Konzerte und das berühmte Neujahrskonzert findet hier jährlich statt. Fakt ist aber, dass hervorragende Musik mit exzellenten Musikerinnen und Musikern und einer grandiosen Akustik zusammenkommen. Allein deswegen ist ein Besuch im Musikverein wärmstens zu empfehlen.

P.S.: Geheimtipp: Die Tonkünstler Niederösterreich sind ein hervorragendes Orchester und spielen regelmäßig zu erschwinglichen Preisen im Musikverein.

#akustik #raumakustik #konzertsaalakustik #musikverein #goldenersaal #architektur #nachhall 

Melde dich an um regelmäßige Mailings zur Akustik zu erhalten - keine Angst kein Spam!
Mailing Liste
von tonetti 16 Aug., 2023
Schallabsorptionsgrad ≠ praktischer Schallabsorptionsgrad ≠ bewerteter Schallabsorptionsgrad
von tonetti 13 Juli, 2023
Die einzigartige Akustik der Amphitheater: Mythos oder Wissenschaft?
von tonetti 05 Juli, 2023
„Die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien hatte längst empfinden müssen, dass die ihr zu Gebote stehenden Räumlichkeiten in der Stadt unter den Tuchlauben weder für ihre Zwecke des Konservatoriums noch für die Konzerte mehr genügen.“ Theophil Hansen aus „Allgemeine Bauzeitung“ aus dem Jahre 1870
von tonetti 30 März, 2023
Ein Hörexperiment von Antti Kuusinen und Tapio Lokki In der Welt der klassischen Musik können die einzigartigen, akustischen Eigenschaften eines jeden Konzertsaals eine wesentliche Rolle für den Klang einer Aufführung spielen. MusikerInnen und DirigentInnen wählen, wenn möglich, ein bestimmtes Repertoire in Abhängigkeit der Aufführungsorte und damit der Akustik des Saals. Dadurch soll der bestmögliche Klang erzielt werden. Wie die Studie von Kuusinen und Lokki zeigt, kann es jedoch schwierig sein, einzelne Konzertsäle allein anhand des Klangs einer in diesem Raum gemachten Aufnahme zu identifizieren. Ziel der Studie im Jahr 2020 war es herauszufinden, wie schwierig es für HörerInnen ist, Konzertsäle durch Hörbeispiele zu identifizieren. Diese Beispiele umfassten Auszüge aus Beethovens Symphonie Nr. 7 sowie Violinen Solos, welche jeweils in den einzelnen Konzertsälen auralisiert wurden. Verglichen wurden 4 Konzertsäle mit teils unterschiedlichen Architekturen: • Zwei „Schuhschachtelförmige“ Säle: Amsterdam Concertgebouw (AC), Münchner Herkulessaal (MH) • Ein „Weinbergförmiger“ Saal: Berliner Philharmonie (BP) • Ein „Fächerförmiger“–Saal: Kölner Philharmonie (CP)
von suess 02 Feb., 2023
Nachhallzeitmessung im Konferenzraum unseres neuen Büros in Wien
von tonetti 12 Jan., 2023
Philharmonie de Paris
von suess 12 Dez., 2022
Konzertzimmer für Brittens "War Requiem" in der Oper Graz
von tonetti 01 Juli, 2022
Das Pendant zu reflexionsarmen Räumen
von tonetti 01 Juli, 2022
Der reflexionsarme Raum
von tonetti 01 Juli, 2022
Raummoden
Weitere Beiträge
Share by: